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Es geht nicht darum, ob wir ein globales Regime wollen, sondern wie es aussehen soll

Die Idee eines Weltstaates hat keine gute Konjunktur. Betrachtet man die Verwendung des Begriffs über die Zeit, so zeigt sich ein recht deutliches Muster: Intensive Diskussionen über ein globales Regime gab es vor allem dann, wenn gerade ein Weltkrieg die Erde verwüstete. Die Überwindung der souveränen Nationalstaaten wurde seinerzeit als Lösung zur Erreichung eines dauerhaften Friedens angesehen. Auch in den Jahren nach 1990, als nach dem Ende des Ost-West-Konflikts plötzlich alles möglich schien, war die Idee eines Weltstaats noch einmal populär. Über die Frage, ob ein Weltstaat wünschenswert sei, besteht heute dagegen alles andere als Konsens.

Globale Verflechtungen schaffen Regelungsbedarf

Womöglich ist die Frage nach einem Weltstaat aber ohnehin falsch gestellt. Denn tatsächlich sind die gesellschaftlichen Verflechtungen auf globaler Ebene heutzutage so groß, dass kaum jemand ernsthaft die Notwendigkeit eines Mindestmaßes gemeinsamer globaler Regeln in Zweifel ziehen würde: Der rapide Anstieg des Welthandels, die Stabilität des internationalen Finanzsystems, die neuen Migrations- und Flüchtlingsströme, Steuerhinterziehung, der internationale Terrorismus und die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität sowie der Klimawandel sind nur einige der Themen, mit denen jeder Einzelstaat notwendigerweise überfordert ist. Nicht zufällig hat sich deshalb (gleichzeitig zum Niedergang des Begriffs Weltstaat) seit den 1990er Jahren das Schlagwort der Global Governance verbreitet: also die Vorstellung, dass es im Zusammenspiel verschiedener politischer Akteure zu einem „weltweiten Regieren“ kommen muss, auch ohne dass dafür eine formale „Weltregierung“ nötig wäre.

Der wichtigste Ort für dieses „weltweite Regieren“ sind die Vereinten Nationen. Als weltumspannende Organisation versuchen sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, politische Antworten auf globale Fragen zu geben – ganz wie es sich die frühen Verfechter eines Weltstaats gewünscht hätten. Die Frage ist heutzutage also längst nicht mehr, ob wir ein globales Regime wollen, sondern wie wir dieses globale Regime ausgestalten.  

Die Hilflosigkeit der Vereinten Nationen

Der Hauptvorwurf, dem sich die Vereinten Nationen als globale Instanz ausgesetzt sehen, ist keineswegs ihre übermäßige Macht – sondern, ganz im Gegenteil, ihre frappierende Hilflosigkeit angesichts drängender Probleme. Wenn es wieder einmal zu Krieg und Gewalt kommt, ohne dass der UN-Sicherheitsrat es verhindern konnte. Wenn wieder einmal eine UN-Klimakonferenz endet, ohne dass eine Einigung erreicht wurde. Wenn sich wieder einmal eine Krankheit über den Planeten ausbreitet, ohne dass die Vereinten Nationen Geld zu ihrer Bekämpfung auftreiben können.

Der Grund für diese frappierende Ineffizienz des globalen politischen Systems ist natürlich die fehlende Durchgriffsmacht der UN-Organe. Die regulären Finanzmittel der Vereinten Nationen (einschließlich der sogenannten Pflicht-Beitragsumlagen) betragen nicht einmal 15 Milliarden Dollar im Jahr. Und anders als etwa die EU hat die UN-Generalversammlung auch keine supranationalen Gesetzgebungskompetenzen.

Eine schwache UNO macht die Mitgliedstaaten nicht freier

Unmittelbare Bindungswirkung haben lediglich die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats, der sein Mandat zur „Wahrung des Weltfriedens“ in den vergangenen Jahren immer wieder recht weit interpretierte. Doch erstens ist auch dieser für die Umsetzung seiner Resolutionen in aller Regel auf die Kooperation der Nationalstaaten angewiesen. Und zweitens gibt es natürlich die fünf Vetomächte USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China, die immer wieder aus nationalen Eigeninteressen wichtige Entscheidungen blockieren und damit dazu beitragen, dass die Vereinten Nationen in den größten internationalen Konflikten der letzten Jahre, von Syrien bis zur Ukraine, nur eine Nebenrolle spielten.

Eine nur nationale Demokratie kann unter den Bedingungen staatenübergreifender Verflechtungen nicht funktionieren

Anders als ein begeisterter Anhänger der nationalen Souveränität glauben könnte, ist die Folge dieser Schwäche der UNO aber nicht etwa eine größere Handlungsfreiheit der einzelnen Mitgliedstaaten. Denn die globalen Probleme verschwinden ja nicht einfach, nur weil es keine globale Instanz gibt, die sich darum kümmern kann. Gewiss, es würde keinem Staat gefallen, wenn er bei den weltweiten Klimaschutzverhandlungen überstimmt werden könnte oder die Vereinten Nationen ihm verbindliche Vorschriften zur Bankenregulierung machen würden. Aber ohne eine handlungsfähige UNO fehlt eben auch ein Akteur, der auf das globale Gesamtinteresse verpflichtet ist – und im Konflikt zwischen den nationalen Eigeninteressen bleiben die Probleme dann entweder ungelöst oder lösen sich auf Kosten der Schwächsten. Eine nur nationale Demokratie kann unter den Bedingungen staatenübergreifender gesellschaftlicher Verflechtungen eben nicht funktionieren.

Die Macht des Sicherheitsrats und der Grundrechtsschutz

Auf der anderen Seite steht die schon heute oft erschreckende Macht der Vereinten Nationen gegenüber den einzelnen Menschen, die sich unter ihrer Kontrolle befinden. So kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen durch UN-Personal und Angehörige von UN-Friedenstruppen. Immerhin aber besteht Einigkeit darüber, dass es sich dabei um ein Übel handelt, das bekämpft werden muss. 2007 richteten die Vereinten Nationen dafür eine Conduct and Discipline Unit ein, die in entsprechenden Fällen ermittelt und gegebenenfalls Disziplinarmaßnahmen ergreift.

Von einem rechtspolitischen Standpunkt noch gravierender dürfte deshalb eine andere Entwicklung sein: nämlich die Resolutionen, die der UN-Sicherheitsrat seit 2001 zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus verabschiedet hat. Unter anderem enthalten diese eine Liste von Personen, die der Sicherheitsrat für Al-Qaida-Mitglieder hält, und die völkerrechtlich bindende Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, sämtliche Finanzmittel von allen Personen auf dieser Liste einzufrieren. Eine Möglichkeit, gegen diese Einstufung als Terroristen gerichtlich vorzugehen, haben die Betroffenen wenigstens auf UN-Ebene nicht – was natürlich gegen grundlegende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstößt.

Weltverfassungsgericht und Weltparlament

Je mehr supranationale Macht man an die Vereinten Nationen übertragen möchte, desto wichtiger wird es auch, sie demokratisch und rechtsstaatlich auszugestalten. Das bedeutet zum einen, dass es auch auf UN-Ebene eine wirksame Gewaltenteilung mit Grundrechtsschutz geben muss: Der Sicherheitsrat kann nicht Legislative, Exekutive und Judikative in einem sein. Stattdessen bräuchten wir eine Art Weltverfassungsgericht, das dem Einzelnen einen Rechtsweg gegen UN-Beschlüsse eröffnet und darauf achtet, dass die Organe der Vereinten Nationen ihr Mandat nicht überschreiten.

Der UN-Sicherheitsrat kann nicht Legislative, Exekutive und Judikative in einem sein

Zum anderen müssten die Bürger auch selbst mehr Möglichkeiten bekommen, ohne Vermittlung durch die nationalen Regierungen an der Ausgestaltung der UN-Rechtsordnung teilzuhaben. Damit die globalen Parteien ihr heutiges Schattendasein überwinden können, benötigen sie ein Forum, auf dem sie politisch wirksam sein könnten – ein UN-Parlament oder wenigstens eine globale Parlamentarische Versammlung.

Was wir brauchen, ist eine stärkere, handlungs- und durchsetzungsfähigere UNO, die es uns ermöglicht, globale Probleme zu lösen, und die gleichzeitig bestimmte rechtsstaatliche und demokratische Minimalstandards erfüllt. Wenn das, was dabei herauskommt, dem ähnelt, was wir als einen „föderalen Weltstaat“ bezeichnen würden, dann sollten wir uns deshalb nicht von unserem Vorhaben abbringen lassen.

Manuel Müller
Author of the blog Der (europäische) Föderalist. Postdoctoral Researcher at the University of Duisburg-Essen.