Diese Woche treffen sich die Staats- und Regierungschefs in New York zur Eröffnung der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Bei dieser Gelegenheit wurde eine von Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft und ehemaligen Amtsträgerinnen und Amtsträgern unterstützte Erklärung vorgestellt, die eine Überprüfung des Gründungsdokuments der UNO, der UN-Charta, fordert.
Die Liste der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner umfasst unter anderem zehn Friedensnobelpreisträgerinnen -und -träger und über fünfzig Professorinnen und Professoren aus verschiedenen akademischen Bereichen. Der “Zukunftsgipfel” der UN, der für September 2024 geplant ist, stellt laut der Erklärung “eine Gelegenheit dar, endlich eine Konferenz zur Überprüfung der Charta zu fordern.”
In der Erklärung heißt es, dass das Ziel der Reform der UN-Charta darin besteht, “sich von überholten internationalen Governance-Strukturen zu befreien und eine gerechte, prinzipientreue, repräsentative und rechenschaftspflichtige globale Ordnung zu schaffen, die die Bedürfnisse der Menschheit und des Planeten in dieser Zeit widerspiegelt.” Sie stellt fest, dass “die in der Charta verankerten Strukturen der Weltordnungspolitik der heutigen Realität nicht mehr gerecht werden.”
Laut Augusto Lopez-Claros, dem Exekutivdirektor des Global Governance Forums, das die Initiative mit Unterstützung der Global Challenges Foundation leitet, muss die 1945 “aus dem Chaos und der Zerstörung des Zweiten Weltkriegs” entstandene Architektur für die internationale Zusammenarbeit “dringend modernisiert werden, um die UNO zu befähigen, Lösungen für die unzähligen Risiken zu finden, die unsere Zukunft als Menschheitsfamilie bedrohen. Es ist an der Zeit, die UN-Charta zu überprüfen und zu ändern, um eine solide völkerrechtliche Grundlage zu schaffen, auf der wir eine friedlichere und wohlhabendere Welt aufbauen können.”
Zusätzlich zu der gemeinsamen Erklärung veröffentlichte das Global Governance Forum den Bericht einer internationalen Studiengruppe, die sich mit Grundsätzen und Vorschlägen zur Überarbeitung der UN-Charta befasst hat. Das 54-seitige Dokument mit dem Titel “A Second Charter: Imagining Renewed United Nations” (Eine zweite Charta: Vorstellungen einer erneuerten UNO) befasst sich unter anderem mit “Bereichen, in denen ein neues Denken erforderlich ist”, “Themen für institutionelle Reformen” sowie “Wege für Reformen und Zukunftsvisionen”.
Das Dokument stellt in der Zusammenfassung fest, dass sich die Debatten über die Reform der Vereinten Nationen gewöhnlich auf den UN-Sicherheitsrat konzentrieren. Es wird jedoch hervorgehoben, dass “die Reform der Generalversammlung und die damit verbundenen Fragen der globalen Regelsetzung, der Repräsentation, der Einbeziehung und der demokratischen Legitimität einige der folgenreichsten Themen darstellen, die bei jedem Versuch, die Charta zu überdenken, zu berücksichtigen sind.”
Ein globales gesetzgebendes Organ mit zwei Kammern, das Staaten und Bürger vertritt
Das Dokument weist insbesondere darauf hin, dass “innerhalb der in einer überarbeiteten Charta vorgesehenen Grenzen” “verbindliche Gesetzgebungsbefugnisse in Angelegenheiten von globalem Interesse einem Zweikammergremium übertragen werden könnten, das aus einer Kammer ähnlich der heutigen Generalversammlung, die die Mitgliedstaaten vertritt, und einer vom Volk gewählten parlamentarischen Versammlung, die die Bürger der Welt repräsentiert, besteht.” Ein “reformierter Sicherheitsrat oder ein ähnlicher Exekutivrat” könnte “diesem neuen globalen Gesetzgebungsmechanismus untergeordnet” werden oder “zumindest einer ausgewogeneren Verteilung der Kompetenzen unterliegen.”
Als Vehikel, um “mehr Unterstützung für eine neue, verbesserte UNO aufzubauen” und den Weg für “formelle Konsultationen, die zu einer Überarbeitung der Charta führen” zu ebnen, schlägt der Bericht vor, dass eine Parlamentarische Weltversammlung “als parallele Beratungskammer zur UNO-Generalversammlung” eingerichtet werden sollte. Die neue Versammlung könnte später “in die parlamentarische Kammer des kolegislativen Zweikammersystems umgewandelt werden.”
“Die Menschen und die Umwelt leiden darunter, dass das globale System nicht in der Lage ist, die globalen Herausforderungen zu bewältigen. Wir hoffen, dass diese Initiative dazu beitragen wird, die wichtige Diskussion über die Erneuerung der Vereinten Nationen, dem wichtigsten Ort der Weltordnungspolitik, voranzubringen”, bemerkte Daniel Perell, UN-Vertreter der Baha’i International Community und Ko-Vorsitzender der Coalition for the UN We Need.
“Russlands umfassende Invasion der Ukraine, die gegen die UN-Charta und das Völkerrecht verstößt, hat gezeigt, dass das derzeitige System der Weltordnungspolitik nicht mehr tragfähig ist. Eine Reform ist notwendig, um Machtmissbrauch durch die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zu verhindern und sicherzustellen, dass die UNO des 21. Jahrhunderts in der Lage ist, die Aufgabe zu erfüllen, für die sie geschaffen wurde: die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit”, kommentierte Olga Tokariuk, Non-Resident Fellow am Center for European Policy Analysis.
Die ehemalige Berichterstatterin für Prävention des UN-Menschenrechtsrats und frühere UN-Vertreterin von Sierra Leone in Genf, Yvette Stevens, betonte, dass “die UN-Charta sorgfältig auf Hindernisse untersucht werden muss, die einer wirksamen Prävention von Konflikten im Wege stehen, die auf anhaltende Menschenrechtsverletzungen zurückzuführen sind.”
Der Geschäftsführer von Demokratie ohne Grenzen und Mitautor eines Buches über ein Weltparlament, Andreas Bummel, wies darauf hin, dass die Schaffung einer Parlamentarischen Weltversammlung unter Abgeordneten, der Zivilgesellschaft und Fachleuten bemerkenswerte Unterstützung genießt. Er verwies auf über 1.500 derzeitige und ehemalige Abgeordnete, die im Laufe der Zeit einen Aufruf für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen unterzeichnet haben, sowie auf mehr als 200 zivilgesellschaftliche Gruppen, die die Kampagne “Wir die Völker” für eine integrative Weltordnungspolitik unterstützen.
Auf einer Veranstaltung in New York, die vom Global Governance Forum und anderen Gruppen am 19. September ausgerichtet wurde, warnte der führende UN-Experte Thomas Weiss, dass “dies nicht der richtige Zeitpunkt” für eine Überprüfung der Charta sei, da die politische Lage in der UNO und in der Welt “düster” sei. Eine Konferenz zur Überprüfung der Charta birgt seiner Meinung nach das Risiko des Scheiterns.
In der gemeinsamen Erklärung heißt es: “So schwierig eine Reform der Charta auch erscheinen mag, sie verblasst im Vergleich zu den Folgen von Untätigkeit.” Die Liste der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, die von Demokratie ohne Grenzen eingesehen werden konnte, wird nach Angaben des Global Governance Forums bald veröffentlicht werden.
In einem offenen Brief, der von ehemaligen Staatsoberhäuptern unterzeichnet und von der Coalition for the UN We Need in Umlauf gebracht wurde, heißt es: “Die Menschen in aller Welt erkennen die Herausforderungen und Unzulänglichkeiten der heutigen internationalen Entscheidungsfindung für kollektives Handeln. In den kommenden Monaten ist politische Führung erforderlich, um die Bedürfnisse der Menschheit und unseres gemeinsamen Planeten über die internen Rivalitäten zwischen den Mitgliedstaaten zu stellen und zu erkennen, dass der Zukunftsgipfel eine äußerst wichtige, generationenübergreifende Gelegenheit bietet, ein ausgewogenes und dennoch weitreichendes Paket zur Umgestaltung der globalen Governance zu schnüren.”