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Buchrezension: Kann Globalisierung gelingen?

Container terminal in Bukit Merah, Singapore. Image:

Dena Freeman, Senior Visiting Fellow am Institut für Anthropologie der London School of Economics und Beraterin von Democracy Without Borders, stellt in ihrem neuesten Buch eine einfache Frage: Kann Globalisierung gelingen?

Anstatt diese Frage mit einem simplen Ja oder Nein zu beantworten zeigt Freeman auf, dass einfache Fragen komplexe, aber dennoch klare Antworten provozieren können. Auf der Suche nach der Antwort, ob die Globalisierung eine bestimmende Eigenschaft der absehbaren politischen und wirtschaftlichen Zukunft sein soll und sein wird, legt Freeman die Geschichte der Globalisierung erfolgreich und facettenreich dar, zeigt ihre Vorteile und Schwächen auf und untersucht die vielfältigen politischen und gesellschaftlichen Reaktionen auf den laufenden Prozess der Globalisierung. Vor allem aber zeigt sie, dass der Begriff Globalisierung oft als selbsterklärendes Konzept verwendet wird, seine tatsächliche Definition jedoch über Raum, Zeit und soziale Klassen hinweg unterschiedlich ist.

Rezension von Dena Freeman, Can Globalization Succeed? A Primer for the 21st Century, Thames & Hudson, 2020 (Webseite zum Buch)

Eine brillante Eigenschaft des Buches ist Freemans sorgfältige und gründliche Bereitstellung von Definitionen. So stellt sie ihrer Leserschaft drei verschiedene Interpretationen des Konzepts Globalisierung vor. Während für die einen der Begriff auf eine zunehmende Verflechtung der Welt durch einen Austausch von Waren, Menschen und Ideen bedeutet, zielt die Globalisierung für andere auf die Schaffung eines globalen und einheitlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systems ab. Was jedoch in unserem Verständnis und unserer Realität dominiert, ist die neoliberale (wirtschaftliche) Globalisierung.

Der Aufstieg und Fall der neoliberalen Globalisierung

Basierend auf den frühen Anfängen des globalisierten Handels, die von der ersten Welle der Internationalisierung im 15. Jahrhundert ausgingen, zeigt Freeman den Beginn der neoliberalen Globalisierung bis in die 1980er Jahre auf, als international durchsetzungsfähige Staaten wie die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich neoliberale Politik und Ökonomie als Antwort auf die zahlreichen Krisen dieser Zeit sahen.

Die neoliberale Politik der deregulierten Kapitalströme, des begrenzten staatlichen Einflusses auf die Märkte und der Kürzungen bei Sozialleistungen wurde global ausgeweitet. Auf der Suche nach billigen Arbeitskräften, Land und Ressourcen fokussierten sich die neoliberalen Regierungen im Globalen Norden auf sogenannte Entwicklungsländer. Diese Staaten wurden unter Druck gesetzt, ihre Märkte für ausländische Investitionen und unregulierte Kapitalströme zu öffnen, indem neoliberale Staaten Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank nutzten, um die Vergabe von Krediten für Entwicklungsländer an eine Deregulierung zu knüpfen. Bald wurde die Verlockung des Kapitals so stark, dass sich die meisten Volkswirtschaften der neoliberalen Politik anschlossen.

Freemans historische Analyse dieser Entwicklung liefert eine nachdenklich stimmende Darstellung der Verflechtung von neoliberaler Globalisierung und sozialen Ungleichheiten, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Während die Globalisierung die Welt erfolgreich zu einem vernetzteren Ort machte, führte sie zu Mustern ungleicher Machtverhältnisse: Länder, die auf die Expansion eines globalen freien Marktes drängten, betrieben die Neokolonisierung anderer Staaten und versuchten, deren Arbeitskräfte, Ressourcen und Land auszubeuten. Die Regierungen zogen sich mehr und mehr aus der Regulierung der Märkte und der Bereitstellung von Sozialleistungen zurück, wodurch ein wachsendes Gefälle zwischen den Gewinnern und den Benachteiligten dieses Prozesses zu einem bestimmenden Merkmal des modernen neoliberalen Staates wurde.

Hier geht Freeman über die gewöhnliche Analyse des Neoliberalismus als Wirtschaftssystem hinaus. Sie weitet ihren Blick auf die politische Sphäre aus, indem sie der Frage nachgeht, wie die neoliberale Globalisierung jemals demokratisch legitimiert werden konnte, von einer Gesellschaft, welche die negativen Konsequenzen eines geschwächten Sozialstaats und der Dominanz des Kapitals selbst zu tragen hat. Daraufhin analysiert Freeman eindringlich, wie die Entfesselung des unregulierten und finanzialisierten Kapitals demokratische Institutionen aushöhlt und zum Niedergang der Beteiligung und Entscheidungsfindung der einfachen Bürger*innen geführt hat.

Freemans Schlussfolgerung, dass die neoliberale (wirtschaftliche) Globalisierung nicht erfolgreich war, wird durch eine Fülle empirischer und aktueller Belege gestützt. Während es in den letzten Jahrzehnten zwar ein massives Wirtschaftswachstum gegeben hat, ist der größte Teil des angehäuften Reichtums in Besitz einiger weniger. Die hohen Emissionen, die durch den internationalen Handel entstehen, und das Fehlen strenger Umweltauflagen für transnationale Konzernen tragen entscheidend zur globalen Klimakrise bei. Die Schwächung des Sozialstaats ist eine Realität, die im aktuellen Kampf gegen die Missstände im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie in den Vordergrund gerückt wird. Und zuletzt ruft die inhärente Instabilität des finanzialisierten, neoliberalen Kapitalismus viel Skepsis hervor, wenn es um die zukünftige Sicherheit des globalen Markts geht.

Demokratischer Internationalismus: ein Grund zur Hoffnung?

Haben die aufstrebenden populistischen Kräfte also recht mit ihren Behauptungen, dass die Globalisierung zur Vergangenheit gehört und die Rückkehr zum Nationalstaat erforderlich ist?

Freemans Antwort ist ein klares und durchdringendes „Nein“. Obwohl weder die durch die neoliberale Globalisierung herbeigeführte Entdemokratisierung noch die von populistischen Nationalisten geforderte De-Globalisierung bei der Bewältigung der vorherrschenden Herausforderungen unserer Zeit hilfreich sein werden, bedeutet dies nicht, dass die Globalisierung selbst gescheitert ist. Vielmehr ist es an der Zeit, unser Verständnis und unsere Umsetzung der Globalisierung zu verändern. Der Schlüssel zu dieser Veränderung ist eine Stärkung, Erweiterung und Vertiefung eben jener Institution, die bisher zu wenig beachtet wurde: der Demokratie.

Im letzten Kapitel ihres Buches plädiert Freeman nachdrücklich dafür, dass der demokratische Internationalismus oder gar der demokratische Globalismus unsere Zukunft sein sollte. Eloquent stellt sie einige der primären Vorschläge vor, die auf die Schaffung einer globalen demokratischen Governance-Struktur abzielen. Insbesondere hebt Freeman die Vorteile einer partizipativen Weltbürger*innen-Initiative und einer von Bürger*innen gewählten Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen hervor. Dies sind Anliegen, die Democracy Without Borders und andere (soziale) Initiativen unermüdlich vorantreiben und befürworten.

Freemans klarer und prägnanter Schreibstil führt erfolgreich in die komplexen konzeptionellen, historischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Dimensionen der Globalisierung ein. Ihre unvoreingenommene, aber scharfe Analyse weist unmissverständlich auf die Mängel der neoliberalen Globalisierung hin. Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Globalisierungskritiken lässt Freeman ihre Leser in der Hoffnung zurück, dass die erfolgreichsten, fairsten und egalitärsten Stunden der Globalisierung immer noch vor uns liegen können.

Letztendlich führt die Big Idea Series, zu der dieses Buch gehört, ein wirklich neues Format von Bildungsliteratur ein. Unterschiedlich große Schriftarten unterscheiden Kernideen von zusätzlichen Informationen und ermöglichen es dem Leser, sich unterschiedlich tief mit dem Inhalt auseinanderzusetzen, während eine reiche Auswahl an Illustrationen und Fotografien Eindrücke hervorrufen, die über die reine Erzählung hinausgehen.

Wer verstehen will, warum unsere derzeitige Vorstellung von Globalisierung dringend überdacht werden muss und wie dieser Wandel am besten zu erreichen ist, sollte unbedingt Dena Freemans Can Globalization Succeed? A primer for the 21st century lesen.

Übersetzt aus dem Englischen von Jasmin Schwägli

Tatjana Söding
Tatjana Soeding holds a Bachelor’s in Liberal Arts from University College Maastricht and is currently pursuing a master’s in Human Ecology at Lund University
DWB