Die Bürgerinnen und Bürger der Welt müssen den Moment nutzen und eine demokratische globale Revolution einleiten. Es ist Zeit für ein globales Parlament und echte Repräsentation.
Die Welt in der Krise
Mehr als 21 Millionen Menschen haben sich mit dem neuen Coronavirus infiziert und über 770.000 sind gestorben. Noch nie zuvor war die Welt Zeuge einer ähnlichen kollektiven Einschränkung sozialer und wirtschaftlicher Aktivitäten, die zur Bekämpfung der Pandemie durchgesetzt werden musste. Für viele verschlimmert die mit dem Coronavirus verbundene globale Krise eine Situation, die bereits vor dem Ausbruch des Virus kritisch war.
Die Klimakrise schreitet mit Rekordtemperaturen in Sibirien, Grönland, der Antarktis und anderen Orten wie dem Nahen Osten voran. Die neue Klima-Apartheid zeichnet sich dadurch aus, ob man es sich leisten kann, sich vor der Hitze zu schützen oder nicht. Die meisten können es nicht.
135 Millionen Menschen sehen sich mit einer akuten Hungersnot konfrontiert. Derzeit gibt es mehr als 70 Millionen Vertriebene, die vor Krieg, Verfolgung und Konflikten geflohen sind. Es ist die schlimmste humanitäre und Flüchtlingskrise seit siebzig Jahren.
Die gegenwärtigen Probleme sind Symptome einer Krise der Weltordnungspolitik.
Es gibt eine globale Ungleichheitskrise. Produktivitätsgewinne und die Globalisierung kommen unverhältnismäßig stark den Wohlhabenden zugute. Finanzielle Vermögenswerte in Billionenhöhe sind auf Offshore-Konten vor den Steuerbehörden verborgen. Die 26 reichsten Milliardäre der Welt besitzen genauso viel wie die ärmsten 3,8 Milliarden Menschen auf dem Planeten.
Während globale Umfragen bestätigen, dass die Menschen in allen Weltregionen fest an die Demokratie glauben, gibt es tatsächlich einen Rückgang der Demokratie. Das Vertrauen in die Leistungen der demokratischen Regierungen schwindet. Populistischer Nationalismus und Autoritarismus sind auf dem Vormarsch, unterstützt und begünstigt durch soziale Medienplattformen und das Internet. Wichtige Rüstungskontrollverträge bröckeln, geopolitische Spannungen nehmen zu und der Multilateralismus ist unter Beschuss.
Die Zivilgesellschaft und Bürgerinnen und Bürger auf der ganzen Welt setzen sich jedoch zur Wehr. Pro-demokratische Bewegungen sind auf einem Allzeithoch, wie weit verbreitete Proteste in Dutzenden von Ländern jetzt und in jüngster Zeit unter Beweis stellen. Freiheit und Gerechtigkeit haben keine Anziehungskraft verloren. Gleichzeitig schlossen sich Millionen von Bürgerinnen und Bürgern weltweit den Klimaprotesten an und riefen zu schnellem und effektivem Handeln in diesem kritischen Bereich auf.
Die gegenwärtigen Probleme sind Symptome einer Krise der Weltordnungspolitik. In der Größenordnung besteht ein Missverhältnis zwischen einer politischen Weltordnung, die auf 200 Staaten und Territorien beruht, und Problemen, die entschlossenes globales Handeln erfordern.
Die UNO ist überholungsbedürftig
Während die UNO in diesem Jahr ihr 75-jähriges Bestehen feiert, verliert die Organisation weiter an Bedeutung und Einfluss. Die UNO ist dabei nur so stark und effektiv, wie ihre Mitgliedsstaaten es ihr erlauben. Dasselbe gilt für alle zwischenstaatlichen Organisationen und Foren, einschließlich der Weltgesundheitsorganisation, die eine Untersuchung über ihren Umgang mit der Covid-19-Pandemie einleiten musste.
Insbesondere der UN-Sicherheitsrat krankt an einem dysfunktionalen Entscheidungsverfahren, das den fünf Siegern des Zweiten Weltkriegs und den offiziellen Atommächten nicht nur einen ständigen Sitz, sondern auch ein Vetorecht einräumt.
Wenn dauerhafte Lösungen erreicht werden sollen, muss diese Diskrepanz in der Größenordnung angegangen werden. Es reicht nicht aus, einzelne Regierungen aufzufordern, ihre Politik zu ändern. Die Art und Weise, wie die Welt regiert wird, muss geändert werden. Was wir brauchen, ist eine neue Vision einer demokratischen Weltordnung, die auf geteilter Souveränität in globalen Fragen, einem klaren Bekenntnis zu den Menschenrechten, dem Subsidiaritätsprinzip und vollständiger Abrüstung beruht.
Die Art und Weise, wie die Welt regiert wird, muss sich ändern
Bei Gründung der UNO wurde anerkannt, dass dies nur ein Anfang sein sollte und dass Veränderungen erforderlich sein würden. Artikel 109 der Charta sieht vor, dass bis 1955 eine Konferenz zur Überprüfung der Charta abgehalten werden sollte. Die Mitgliedstaaten der UNO hielten dieses Versprechen nicht ein. Es ist an der Zeit, sie dafür zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Weltbevölkerung braucht ein tatsächliches Mitspracherecht in globalen Angelegenheiten, das nicht durch nationale Regierungen und ihre Diplomatinnen und Diplomaten vermittelt wird. Der wichtigste Bestandteil einer neuen UNO sollte ein demokratisch gewähltes Weltparlament sein, das zwischenstaatliche Organe wie die UNO-Generalversammlung ergänzt.
Eine globale demokratische Revolution
Die Schaffung einer neuen demokratischen Weltorganisation, die über tatsächliche Befugnisse verfügt, scheint ein gigantisches Projekt zu sein, das zahlreiche Fragen aufwirft. Wie soll eine globale Demokratie geschaffen werden, wenn wichtige Staaten selbst nicht demokratisch organisiert sind? Können Entscheidungen eines Weltparlaments gegen den Willen einzelner Staaten durchgesetzt werden? Wie ist es möglich, dass Staaten der Schaffung einer übergeordneten politischen Einheit zustimmen?
Die Völker der Welt müssen globale Demokratie einfordern
Diese Fragen tragen schon die Antwort in sich: Die Menschen der Welt selbst müssen sich die globale Demokratie zu eigen machen und sie einfordern. Letztlich sind sie nicht nur in ihren jeweiligen Staaten, sondern auch auf dem gesamten Planeten als Ganzes die Souveräne.
Eine globale demokratische Revolution muss sich für ein legitimes, inklusives und repräsentatives globales Gremium einsetzen, das sich ernsthaft mit diesen Fragen befasst. Die Schaffung einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen könnte ein wichtiger Schritt sein, um einen globalen Verfassungsprozess und eine Veränderung der Weltordnungspolitik in Gang zu setzen.
Die globale demokratische Revolution wird friedlich sein, denn es geht nicht um die Zerstörung von Strukturen oder die Eroberung von Territorien, sondern um die Öffnung einer neuen politischen Ebene, die noch brachliegt. Supranationale Integration kann nicht mit Zwang auferlegt werden. Sie wird stattfinden, weil die Völker es so wollen.
Wenn die bestehenden Bewegungen in den Bereichen Klima, Umwelt, Frieden, Abrüstung, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und andere ihre Kräfte bündeln, wird die globale demokratische Revolution sehr greifbar werden.
Das mag visionär klingen. Aber die großen Probleme, die diesen Planeten und seine Menschen plagen, werden bestehen bleiben und sich noch verschlimmern, wenn die Grundursache nicht angegangen wird. Eine demokratische Weltregierung ist kein Gedankenspiel in irgendeinem Elfenbeinturm. Sie ist die wichtigste Frage, die heute auf der Tagesordnung der Menschheit steht.
Dieser Artikel wurde ursprünglich von Inter-Press Service auf englisch veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung veröffentlichen wir hier eine deutsche Übersetzung