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Freiheitsrechte gehen zurück, Bürger­bewegungen halten dagegen

Die Hongkonger Polizei setzt Wasserwerfer gegen Demonstranten ein. Quelle: Isaac Yeung/Shutterstock

Am 4. März veröffentlichte Freedom House in Washington D.C. den Jahresbericht 2020 über die Freiheit in der Welt und stellte fest, dass die globale Freiheit 2019 zum 14. Mal in Folge zurückgegangen ist. „Demokratie und Pluralismus stehen unter Beschuss“, heißt es in dem Bericht. Demnach sind Diktatoren nicht die einzigen, die für den Rückgang der Freiheit im globalen Maßstab verantwortlich sind. Auch frei gewählte Führungspersönlichkeiten, die ihre Anliegen auf die kurzfristigen Interessen ihrer eigenen Nation beschränken, tragen ihren Teil zu dieser Entwicklung bei.

Von den 195 untersuchten Ländern wurden 83 (42,6 Prozent) als „frei“, 63 (32,3 Prozent) als „teilweise frei“ und 49 (25,1 Prozent) als „nicht frei“ eingestuft. Während die Zahl der Länder, die Freiheitsverluste hinnehmen mussten, von 68 im Jahr 2018 auf 64 im Jahr 2019 leicht zurückging, sank die Zahl der Länder, die einen Anstieg der Freiheit erreichten, im gleichen Zeitraum deutlich von 50 auf 37. Die ungewöhnlich hohe Zahl der Länder mit einem Anstieg der Gesamtfreiheit im Jahr 2018 könnte sich als Ausreißer erweisen. Wenn man bedenkt, dass die Zahl der 37 Länder mit einer Zunahme der Gesamtfreiheit nur geringfügig unter dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre liegt, erscheint dies plausibel. Darüber hinaus stellte Freedom House fest, dass insgesamt 115 Länder als Wahldemokratien eingestuft werden können, d.h. als Länder, die bestimmte Mindeststandards für politische Rechte erfüllt haben. Dies ist ein minimaler Anstieg gegenüber den 114 solcher Länder des letzten Jahres.

Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass die sinkenden Werte der Freiheit insgesamt alle Regimetypen betrafen und überall auf der Welt zu finden waren:

14 Jahre des Niedergangs haben alle Regionen und die Unterkategorien von Freiheit in der Welt betroffen. Quelle: Freedom in the World report 2020, S. 12.

Mangel an internationaler demokratischer Führung

In dem Bericht bezeichnet Freedom House das Fehlen internationaler demokratischer Führung als eines der dringendsten Probleme. Indien und die Vereinigten Staaten, die beiden größten Demokratien der Welt, sind zunehmend dabei, institutionelle Schutzmechanismen abzubauen und die Rechte von Kritikern, Minderheiten und Immigranten im eigenen Land zu missachten. Gleichzeitig versäumen sie es, demokratische Prinzipien konsequent an ihre Außenpolitik zu binden. Dieser Mangel an demokratischer Solidarität tritt nicht nur in Indien und den Vereinigten Staaten, sondern auch in wichtigen europäischen Demokratien zutage. Diese Entwicklung ermutigt autoritäre Regime möglicherweise dazu, die bürgerlichen und politischen Rechte ihrer Bevölkerung noch stärker einzuschränken, da sie keine einheitliche Reaktion der demokratischen Staaten zu befürchten haben. Ein erschreckendes Beispiel für diesen Trend ist das Fehlen einer koordinierten internationalen Reaktion auf Chinas Kampagne der kulturellen Vernichtung der uigurischen Minderheit in Xinjiang, die 2019 einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde.

Lichtblicke und Bürgerbewegungen

Trotz des allgemeinen Rückgangs der Freiheit weltweit gibt es Länder, die in ihrer Freiheit insgesamt erhebliche Fortschritte erzielt haben. Dies ist unter anderem der Fall für Sudan, Madagaskar, Äthiopien, Nordmazedonien und Guinea-Bissau. Einige dieser Länder leiden jedoch unter internen Konflikten, und internationale Unterstützung wäre von großer Bedeutung, um die positiven Entwicklungen des vergangenen Jahres zu konsolidieren.

Während die politischen und bürgerlichen Rechte in Ländern auf der ganzen Welt bröckeln, scheint der menschliche Wunsch nach Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit von Unterdrückung so groß zu sein wie eh und je. Ein Beweis dafür sind die zahlreichen Massenproteste in Hongkong, Algerien, dem Sudan, Bolivien, Chile und anderen Ländern.

Proteste rund um den Globus waren eine Erinnerung an den gemeinsamen Wunsch nach Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit. Die Karte zeigt eine Auswahl von Ländern, in denen 2019 Massenproteste stattfanden. Quelle: Freedom in the World report 2020, S. 18-19.

Der Bericht stellt fest, dass 75 Prozent der Weltbevölkerung in „freien“ oder „teilweise freien“ Ländern leben, während 25 Prozent in Ländern leben, die als „nicht frei“ eingestuft werden. Dennoch darf diese scheinbar tröstliche Zahl nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Notwendigkeit demokratischer Solidarität und der innerstaatlichen Einhaltung demokratischer Grundprinzipien so dringend wie eh und je besteht.

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Ortega

Andreas Meier
Andreas Meier holds a Bachelor's degree in history and political science from the University of Zurich. He is currently studying for his Master's degree at the Europainstitut of the University of Basel. He also works part-time as a university trainee in the parliamentary services of the cantonal parliament in Berne.