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Wir müssen das Selbstbestimmungsrecht der Menschheit proklamieren

An der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin hat vom 3. bis 5. November 2017 die von Milo Rau und dem Institute for Political Murder (IIPM) veranstaltete General Assembly getagt, um mit dem «Entwurf eines Weltparlaments» allen Lobbylosen Gehör zu verschaffen und zu debattieren, «wo wir als Weltgemeinschaft stehen und was zu tun ist.»

Hier ist die Rede, die ich bei der Eröffnungssitzung gehalten habe:

Das Anthropozän

Noch in Millionen von Jahren wird es möglich sein, unsere heutige industrielle Zivilisation in Gesteinsschichten nachzuweisen. Die Ausbreitung des Menschen geht mit einem globalen Artenaussterben einher, das sich immer weiter beschleunigt. Es wird auffallen, dass viele Arten ab unserer Zeit nach und nach als Fossilien verschwinden. Was im Gestein stattdessen auftauchen wird, sind Bestandteile von Plastik und Kunststoff und künstliche Radionuklide, die seit 1945 bei der Detonation von über 2.000 Atombomben freigesetzt wurden.

Der wichtigste Marker für den Beginn eines neuen Zeitalters wird aber der exponentielle Anstieg des CO2-Gehalts in den Bohrkern-Schichten der letzten 100 Jahre sein. Er ist jetzt so hoch wie seit vier Millionen Jahren nicht mehr und wächst weiter an.

Im Anthropozän ist die Menschheit eine Schicksals- und Überlebensgemeinschaft geworden.

Während des Holozäns waren die Umweltbedingungen für den Menschen 14.000 Jahre lang sehr stabil und lebensfreundlich. Im neuen Zeitalter des Anthropozäns, das Geowissenschaftler ausgerufen haben, nimmt die menschliche Zivilisation Einfluss auf die Umwelt- und Klimabedingungen der Erde als Ganzes. Die Erderwärmung und andere menschlich beeinflusste Faktoren können die Klimaprozesse unseres Planeten unwiderruflich in einen lebensfeindlichen Zustand kippen lassen.

Die Menschheit ist zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden. Planetare Probleme wie der Klimawandel, das Artensterben, die Verschmutzung von Land und Ozeanen oder die fortdauernde Existenz tausender Nuklearwaffen, die die Weltzivilisation innerhalb von 30 Minuten auslöschen können, gehen alle Menschen etwas an.

Die weltweite Konsumgesellschaft und ihr Ressourcenverbrauch sind nicht nachhaltig und zutiefst ungerecht. Acht einzelne Menschen besitzen mehr Vermögen als die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung, das sind 3,6 Milliarden Menschen. Diese ärmste Hälfte ist nur für 10 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich, ist aber von den Auswirkungen des Klimawandels am schwersten betroffen.

Eine gleichberechtigte Stimme für alle

Wenn wir die Gleichberechtigung des Menschen und die fundamentalen Menschenrechte in irgendeiner Weise ernst meinen, dann muss jede Weltbürgerin und jeder Weltbürger bei der Lösung der Menschheitsfragen eine gleichberechtigte Stimme bekommen.

Es stellt sich nicht die Frage, warum es ein Weltparlament geben sollte, sondern warum es noch keins gibt

Die erste demokratisch gewählte Regierung der neuen deutschen Republik hat sich 1919 für ein Weltparlament im Rahmen des Völkerbundes ausgesprochen. Fast 100 Jahre später stellt sich heute nicht die Frage, warum es ein Weltparlament geben sollte, sondern die Frage, warum es ein Weltparlament immer noch nicht gibt!

Die Nationalstaaten und ihre zwischenstaatlichen Organisationen haben sich als unfähig erwiesen – und sie beweisen es jeden Tag auf neue –, dass sie nicht dazu in der Lage sind, eine demokratische, friedliche, gerechte und nachhaltige Weltordnung aufzubauen. Es ist an der Zeit für eine neue globale Aufklärung. Wir müssen das Selbstbestimmungsrecht der Menschheit proklamieren.

Ein demokratisch gewähltes Weltparlament

Wir brauchen ein von allen Weltbürgerinnen und Weltbürgern demokratisch gewähltes Weltparlament, damit die Menschheit für sich, das Leben auf der Erde und für kommende Generationen Verantwortung übernehmen kann. Aufgabe des Weltparlaments ist es, über das bestmögliche Wohlergehen aller Menschen und ihr gemeinsames Interesse zu wachen. Es ist Ausdruck der Selbstbestimmung und der Souveränität der Menschheit als Ganzes und unverzichtbare Grundlage einer legitimen Weltordnung.

Ein Weltparlament muss die Kompetenz haben, verbindliche Entscheidungen über Menschheitsfragen zu fällen.

Die Vereinten Nationen als ein exklusiver Club von Regierungen, die oft keine demokratische Legitimation haben, sind veraltet. Die Despoten auf dieser Welt wollen kein Weltparlament, weil sie die Demokratie verachten. Die angeblichen Demokraten in den entwickelten Ländern wollen kein Weltparlament, weil sie um ihre Privilegien fürchten. Sie verweigern den Aufbau einer Weltdemokratie und riskieren damit eine Revolution der Benachteiligten und womöglich den Untergang unserer Weltzivilisation.

Wir müssen die Fürsprecher und Verfechter der Demokratie in den autokratisch regierten Ländern, die sich den Despoten und ihren Verbrechen entgegenstellen, unterstützen und verteidigen. Wir müssen den Nutznießern des gegenwärtigen Weltsystems, den Weltkonzernen und ihren superreichen Eigentümern, verdeutlichen, dass sie sich einer Weltdemokratie nicht in den Weg stellen können, ohne alles zu gefährden.

Das Potential der Weltbürger mobilisieren

Die Weltbevölkerung ist viel fortschrittlicher, als ihre eigenen nationalstaatlichen Regierungen, wenn es um globale Lösungen geht. Eine Mehrheit der Menschen in fast allen Ländern und in allen Weltregionen identifizieren sich auch als Weltbürger. Sie unterstützen stärkere Maßnahmen gegen den Klimawandel, sie wollen eine Abschaffung der Nuklearwaffen, sie befürworten eine Stärkung der Vereinten Nationen, sie fordern eine Durchsetzung der Menschenrechte und sie glauben an die Demokratie. Um ein Weltparlament zu erreichen müssen wir das Potential dieser Menschen mobilisieren.

Ich spreche heute als Vertreter von Democracy Without Borders und habe vor zehn Jahren die internationale Kampagne für ein Parlament bei der UNO mit gegründet. Unsere Kampagne wird von hunderten Persönlichkeiten aus über 150 Ländern unterstützt, darunter über 1.500 demokratisch gewählte Parlamentsabgeordnete. Wir sind weltweit tätig und sprechen mit Regierungen, Parlamenten und anderen Akteuren, um eine parlamentarische Vertretung der Weltbevölkerung auf der Weltebene zu erreichen.

Die General Assembly, die wir heute eröffnen dürfen, ist ein wichtiger Schritt, um den undemokratischen Charakter der Weltordnung zu offenbaren und der Forderung nach einem Weltparlament Nachdruck zu verleihen. Der Sturm auf den Reichstag als Abschluss ist ein wichtiges Symbol. Die neue deutsche Bundesregierung und der neu gewählte Bundestag könnten und sollten eine Vorreiterrolle bei der Verwirklichung einer kosmopolitischen Demokratie einnehmen.

In diesem Sinne wünsche ich der General Assembly viel Erfolg.

Andreas Bummel
Andreas Bummel is Executive Director of Democracy Without Borders and co-authored the book "A World Parliament: Governance and Democracy in the 21st Century"