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Die Bürger der Welt müssen die Kontrolle zurückgewinnen – mit einem globalen Parlament

Je enger und komplexer die weltweite wechselseitige Abhängigkeit wird, desto weniger Probleme können einzeln agierende Staaten alleine lösen. Wohlstand, Entwicklung und Sicherheit hängen heute sehr stark von erfolgreicher internationaler Zusammenarbeit und Integration ab. Was auch immer fremdenfeindliche und nationalistische Demagogen die Menschen glauben lassen wollen: Eine zombieartige Wiederauferstehung der „nationalen Unabhängigkeit“ ist keine tragfähige Lösung und wird in der Welt nur Schaden anrichten.

Intergouvernementalismus untergräbt die Demokratie

Es gibt jedoch ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass die derzeitige Form der Globalisierung nicht weitergehen kann. Sie unterstreicht Klassengegensätze, indem sie wirtschaftliche Gewinne in einer sehr ungleichen Weise verteilt. Zugleich untergräbt sie durch intergouvernementale Zusammenarbeit die Demokratie. In vielen Fällen werden nationale Parlamente zu Abnick-Institutionen reduziert, von denen erwartet wird, dass sie alles akzeptieren, was ihre Regierungen ausgehandelt haben – falls sie überhaupt gefragt werden.

Die derzeitige Form der Globalisierung untergräbt die Demokratie und dient hauptsächlich den Interessen einer globalen Elite

Die UN und ihre vielen Sonderorganisationen, die internationalen Finanzinstitutionen, die Welthandelsorganisation und verschiedene zwischenstaatliche Netzwerke üben schon jetzt viele Funktionen einer Weltregierung aus. Doch dieses Weltregime dient in erster Linie den Interessen einer globalen Elite. Wie Mary Kaldor formuliert hat: „In der Theorie sollten wir Entscheidungen durch die Mitgliedschaft unserer Nationalstaaten in globalen Institutionen beeinflussen können, aber in der Praxis sind diese Institutionen eher durch die Interessen der globalen Elite geprägt als durch gewöhnliche Bürger.“

In einem früheren Beitrag hat Danny Sriskandarajah geschrieben, dass das System globalen Regierens das „eklatante, endemische Zusammenspiel zwischen wirtschaftlichen und politischen Eliten“ fördert. Er argumentiert für „radikal neue Formen der Repräsentation und Aufsicht“ auf globaler Ebene. Auf EU-Ebene garantiert das direkt gewählte Europäische Parlament, dass es eine demokratische Verbindung zu den Bürgern gibt. Es ist das markanteste Merkmal eines globalen Demokratiedefizits, dass es im globalen Regierungssystem nichts Ähnliches gibt.

Die Weltbürger gegenüber den globalen Eliten stärken

Steuervermeidung und die Nutzung anonymer Briefkastenfirmen durch die Superreichen ist ein massiver Angriff auf die Fähigkeit von Staaten, öffentliche Dienstleistungen zu erbringen, und erhöht die globale Ungleichheit. Es heißt, dass heute zwischen 24 und 36 Billionen Dollar in Steueroasen versteckt sind. Nach der spektakulären Veröffentlichung der Panama Papers richtete das Europäische Parlament im Juni einen Untersuchungsausschuss ein, der sich mit dem Thema Steuervermeidung und Geldwäsche beschäftigt.

Warum gibt es kein Weltparlament, das im Namen aller Weltbürger demokratische Kontrolle ausübt?

Warum gibt es kein gewähltes Weltparlament, das dasselbe tut und eine demokratische Kontrolle im Namen der 99% der Weltbürger ausübt? „Die Panama Papers bestätigen, dass die globale Elite betrügt, lügt und stiehlt“, schrieb Fredrik Deboer und forderte: „Steuerzahler der Welt, vereinigt euch!“ Angesichts der Unfähigkeit oder des Unwillens der nationalen Regierungen, der OECD und anderer Institutionen, das Problem wirklich zu lösen, scheint ein Weltparlament aus regierungsunabhängigen Abgeordneten der beste Weg zu sein.

Eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen

Mutiges Denken ist notwendig. Das Konzept der „Global Governance“ – das vorgibt, dass Regierungsfunktionen auf globaler Ebene erfüllt werden können, ohne dass es eine formale globale Regierung gibt – hat seinen Zenit überschritten. Es ist ein gutes Zeichen, dass führende Wissenschaftler der Internationalen Beziehungen, Politikwissenschaft, Philosophie, Soziologie, Wirtschaftswissenschaft und anderer Felder sich letztes Jahr zusammengeschlossen haben, um das World Government Research Network zu gründen.

Gewiss, ein Weltparlament kann nicht von einem Tag auf den nächsten eingerichtet werden. Aber es ist ein alternativer und progressiver Ansatz zur Idee, „die Kontrolle zurückzugewinnen“. Es basiert auf den Werten von globaler Solidarität und Weltbürgertum. Ein erster Schritt wäre schon jetzt möglich, wenn genügend politischer Wille bestünde: die Schaffung einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen (United Nations Parliamentary Assembly, UNPA). Sie könnte von der UN-Generalversammlung ohne eine Charta-Reform oder die Zustimmung des Sicherheitsrats eingerichtet werden.

Mehr als 1.500 Parlamentarier unterstützen die UNPA

Boutros Boutros-Ghali, der von 1992 bis 1996 UN-Generalsekretär war (und von den USA aus dem Amt gedrängt wurde), war ein starker Verfechter dieses Projekts. Als 2007, zu einem guten Teil dank seiner Unterstützung, die internationale UNPA-Kampagne gestartet wurde, erklärte er: „Wir müssen die Demokratisierung der Globalisierung voranbringen, bevor die Globalisierung die Grundlagen nationaler und internationaler Demokratie zerstört. Die Etablierung einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen ist ein unverzichtbarer Schritt geworden, um eine demokratische Kontrolle der Globalisierung zu erreichen.“

Heute wird der internationale Aufruf für eine UNPA von einem breiten Spektrum von Einzelpersonen und Institutionen aus mehr als 150 Ländern unterstützt – insbesondere von rund 1.500 derzeitigen oder früheren Parlamentariern. Im Mai 2016 rief das Panafrikanische Parlament die afrikanischen Regierungen dazu auf, das Projekt bei den Vereinten Nationen voranzubringen. Das Parlament der Afrikanischen Union erklärte, dass eine UNPA „zur Stärkung der demokratischen Partizipation und Repräsentation der Bürger dieser Welt notwendig“ ist und dass die neue Versammlung zu „einer Stärkung der demokratischen Kontrolle über UN-Einsätze, speziell in Afrika, beitragen“ würde.

Das Gemeinwohl der Menschheit

In der Tat, es gäbe viel zu tun für eine UNPA. Wer zum Beispiel wäre in einer besseren Position als die Vertreter der Weltbürger, um die Fortschritte bei den neuen Zielen zur nachhaltigen Entwicklung zu bewerten? Eine UNPA sollte ihren eigenen Menschenrechtsausschuss einrichten. Sie sollte Druck auf Regierungen ausüben, bei Abrüstungsfragen voranzukommen. Sie könnte den Fortschritt beim Kampf gegen den Klimawandel überwachen. Mit der Zeit sollte eine UNPA Informations-, Beteiligungs- und Kontrollrechte gegenüber allen relevanten globalen Regierungsinstitutionen erhalten.

Gemäß einer kürzlich veröffentlichten Umfrage in 18 Ländern sehen sich mehr als die Hälfte der Befragten in Schwellenländern in erster Linie als globale, nicht als nationale Bürger an. Dieses Gefühl würde auch bei den meisten Weltparlamentariern vorherrschen. Sie wären dazu aufgerufen, das Gemeinwohl der Menschheit als Ganzes zu verfolgen. Im Gegensatz dazu haben Karrierediplomaten, was auch immer sie persönlich fühlen mögen, immer die Pflicht, die Sichtweisen ihrer Regierungen zu vertreten.

Den Bürgern der Welt ein Mitspracherecht geben

Die UN und die globalen Regierungsinstitutionen haben eine Reform zwingend nötig. Das System ist fragmentiert und oft ineffektiv. Es gibt eine Unzahl an Themen, die behandelt werden müssen. Eine der besten Übersichtsdarstellungen in jüngerer Zeit war Joseph Schwartzbergs Buch Transforming the United Nations System, das im Verlauf des Jahres auch auf deutsch veröffentlicht wird. Viele Vorschläge sind auch in dem Bericht der Commission on Global Security, Justice, and Governance enthalten, der vorletztes Jahr veröffentlicht wurde.

Von allen Vorschlägen aber ist die Einrichtung einer UNPA der wichtigste, um den Bürgern der Welt ein Mitspracherecht bei der UN und über die künftige Richtung der Globalisierung zu geben.

Eine frühere Version dieses Posts erschien ursprünglich auf www.foederalist.eu und wurde auch bei www.opendemocracy.net veröffentlicht.

Andreas Bummel
Andreas Bummel is Executive Director of Democracy Without Borders and co-authored the book "A World Parliament: Governance and Democracy in the 21st Century"